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Junge Oschatzerin geht der Geschichte des ältesten Stadt-Hauses nach - Lilly Biedermann und andere Zehntklässler verteidigen ihre Facharbeiten am Thomas-Mann-Gymnasium 

Von Christian Kunze
Oschatz. Die letzte Bewährungsprobe für Gymnasiasten vor dem Abitur ist die mündliche Prüfung. Freies Sprechen liegt nicht jedem, kann aber trainiert werden. Das ist einer der Gründe, warum die 10. Klassen am Thomas-Mann-Gymnasium (TMG) zwei Jahre vor dem Abschluss schon einmal "üben". 
Am Dienstag war es wieder so weit: Beim Tag der wissenschaftlichen Arbeit verteidigten die Schüler ihre bereits schriftlich eingereichten Facharbeiten in einem Vortrag - und stellten sich im anschließenden Gespräch den Fragen der Lehrer. Prüfung auf Probe, aber trotzdem ernst zu nehmen: Denn beide Leistungen werden bewertet. 
Die Schüler der 9. Klassen sind aufgefordert, an diesen Vorträgen als Beobachter teilzunehmen - und sich dort bereits Anregungen zu holen, wie sie ihre Arbeit im kommenden Jahr gestalten sollen - dabei ist den jüngeren Schülern genauso wie den Lehrern ausdrücklich erlaubt, Fragen zu stellen, sei es zum Inhalt oder zur methodischen Umsetzung des Themas und der Herangehensweise an die Facharbeit. Das beginnt schon bei der Themenfindung, für die es zwei Wege gibt. Entweder die Schüler wählen aus einem umfangreichen Katalog einen Schwerpunkt aus und arbeiten sich an den dazu formulierten Thesen ab. Oder sie schlagen dem betreuenden Lehrer, ihrem Mentor, ein eigenes Thema samt Thesen vor, das sich nicht im Katalog wiederfindet. Für jeden Vortrag stehen 15 Minuten zur Verfügung, das heißt also: Prioritäten setzen. 
Einen Mittelweg wählte Aileen Zirnstein bei der Bewältigung ihrer Aufgabe. "Fest stand für mich nur, dass ich gern eine Filmanalyse machen wollte. Mein Mentor hat mir dann vier Filme vorgeschlagen, für einen musste ich mich entscheiden", beschreibt sie. Am Ende fiel die Wahl auf den US-amerikanischen Thriller, der in den 1990er Jahren bei vielen für Gänsehaut sorgte: "Das Schweigen der Lämmer" mit Anthony Hopkins in der Rolle des kannibalischen Serienmörders Dr. Hannibal Lecter. "Diese Figur ruft beim Zuschauer Abscheu und Faszination zugleich hervor. Ziel der Facharbeit sollte es sein, herauszuarbeiten, woran das liegt", sagt Mentor Kai Schnabel. 
Dass man für seine Facharbeit auch vor der Haustür recherchieren kann, beweist Lilly Biedermann. Die Oschatzerin widmete sich dem Oschatzer Vogtshaus und seiner Geschichte. Sie stöberte in Nachschlagewerken, befragte den Oschatzer Baufachmann Gert Jubisch sowie Grit Jähn vom Vogtshausverein und stellte damit unter Beweis, dass das Gebäude für die Oschatzer Historie von zentraler Bedeutung ist, ja die Geschichte der Stadt aufgrund der Erkenntnisse um diese Immobilie umgeschrieben werden musste - finden sich in dem Gemäuer doch Zeugnisse sämtlicher Baustil-Epochen - von der Romanik über Gotik und Renaissance bis zum Jugendstil. 
Für jeden Schüler bietet die Verteidigung die Chance, die schriftliche Leistung zu bestätigen oder sich dadurch sogar noch zu verbessern. Aus diesem Grund nimmt die Bewertung des Kolloquiums vor Publikum auch unterschiedlich viel Zeit in Anspruch. So etwa bei Victoria Engert, die sich eines Problems annahm, das unlängst die Schlagzeilen in der Region dominierte. Vor dem Hintergrund sinkender Wahlbeteiligung bei Kommunal- und Landtagswahlen untersuchte sie die Vor- und Nachteile der Prinzipien Wahlrecht und Wahlpflicht und war am Ende aufgefordert, sich selbst zu positionieren, welches Prozedere sie bevorzugen würde. 
Damit schließt sich der Kreis zum letzten Bestandteil der wissenschaftlichen Arbeiten am TMG: Den Zehntklässlern soll es gelingen, sich anhand der recherchierten Fakten eine eigene Meinung zu den von ihnen vorgestellten Themen zu bilden. "Der kritische Umgang mit den verteidigten Sachverhalten soll vor allem dazu beitragen, die Persönlichkeit der Schüler zu entwickeln", hebt Lehrerin Heike Kolberg hervor.

 

Lilly Biedermann zeigt auf das Wappen der Tuchmacher an der Fassade des Vogtshauses. Das Gebäude ist Gegenstand ihrer jüngst verteidigten Facharbeit. Foto: Dirk Hunger