Schüler legen an der neu verlegten Stolperschwelle am Krankenhaus Hubertusburg in Wermsdorf Blumen nieder. Quelle: Jana Brechlin
Am Krankenhaus Hubertusburg in Wermsdorf erinnert jetzt eine Stolperschwelle an Patienten, die hier unter dem NS-Regime sterben mussten. Für Kritik sorgt allerdings die Ortswahl für das Gedenken.
Wermsdorf. Mit einer Stolperschwelle wird ab sofort in Wermsdorf an die Menschen erinnert, die während der Nazi-Herrschaft ab 1933 im Krankenhaus starben oder von dort in sogenannte Tötungsanstalten verlegt wurden. Möglich wurde das vor allem durch umfangreiche Recherchen von Jugendlichen des Oschatzer Thomas-Mann-Gymnasiums, die zudem Spenden für die Umsetzung sammelten. Neben viel Lob gab es zur offiziellen Verlegung aber auch Kritik: So wirkt der ausgewählte Ort für die Schwelle eher etwas verschämt, und über den Standort für eine begleitende Informationstafel gab es bisher keine Einigung.
Angefertigt und verlegt wurde die Schwelle vom Künstler Gunter Demnig, der vor allem mit seinen Stolpersteinen überall in Deutschland an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert und in der Nachbarschaft bereits einen Stein für Hermann Scheipers verlegt hat, der als katholischer Priester 1940 in Wermsdorf die Messe mit polnischen Zwangsarbeitern feiern wollte und dafür ins KZ Dachau kam.
Der Künstler Gunter Demnig hat auf dem Gelände des Fachkrankenhauses Hubertusburg in Wermsdorf eine Stolperschwelle verlegt. Damit soll an die Opfer der NS-Zeit erinnert werden. Quelle: Jana Brechlin
Dass nun eine Stolperschwelle und kein -stein verlegt wurde, hat schlicht mit der großen Zahl der Opfer zu tun. „Die Schwelle ist für institutionelles Gedenken an Orten gedacht, wo man so viele Stolpersteine verlegen müsste, das man das Pflaster austauschen müsste“, sagte Henry Lewkowitz vom Leipziger Verein Erich-Zeigner-Haus. Der Verein hatte das Projekt mit Schülerinnen und Schülern des Oschatzer Thomas-Mann-Gymnasiums umgesetzt, die dafür ein Jahr lang recherchiert und Spenden gesammelt haben.
Unterstützung dafür gab es auch aus dem Landesprogramm Weltoffenes Sachsen, vom Fachkrankenhaus Hubertusburg, der Gemeinde, dem Heimatverein Wermsdorf und dem Landkreis Nordsachsen. Man unterstütze mit dem Verein seit Jahren die Aufarbeitung im ländlichen Raum, wobei man zunächst oft auf eine Abwehrhaltung stoße, so Lewkowitz. Dabei herrsche häufig die Meinung vor, dass es Verbrechen der Nazis nur in großen Städten gegeben habe.
Dass das eben nicht so war, zeigen die von den Jugendlichen ausfindig gemachten Schicksale, die in Zahlen jetzt auf der Stolperschwelle festgehalten sind: Demnach wurden zwischen 1933 und 1943 in der Landesheil- und Pflegeanstalt Hubertusburg mindestens 120 Menschen zwangssterilisiert, mindestens 1706 Frauen und Männer wurden im Rahmen der sogenannten T4-Aktion verlegt und starben zum Beispiel in Pirna-Sonnenstein. Und mindestens 835 Patientinnen und Patienten mussten in Folge mangelnder medizinischer Versorgung sterben.
„Das war ärztlich durchgeführter Krankenmord, und die Henker waren die Ärzte und ihre Gehilfen“, fand Dr. Peter Grampp deutliche Worte. Der Chefarzt der Psychiatrie im Fachkrankenhaus Hubertusburg erinnerte daran, dass dem ein gewisser Zeitgeist vorausging: „Wer keinen Wert brachte, dem wurde das Menschsein aberkannt.“ Deshalb seien solche Projekte wichtig, weil man für das, was man heute tue, eine Verantwortung für die Zukunft habe.
Der Chor des Thomas-Mann-Gymnasiums umrahmte die Veranstaltung. Quelle: Jana Brechlin
Neben Vertretern von Vereinen, Kirche, Parteien und Institutionen waren die Schülerinnen und Schüler vor Ort, um von ihrer Arbeit und ihrer Motivation zu berichten. Sie hatten Biografien zurückverfolgt, verschiedene Orte aufgesucht und Akten gesichtet. Es sei erschütternd, zu erkennen, welche schrecklichen Folgen Hass hat, so ihr Bericht. „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir aus der Vergangenheit lernen und helfen, eine gerechtere und inklusive Welt aufzubauen“, meinten etwa die beiden 17-Jährigen Maxi und Huong.
Die Leiterin des Oschatzer Thomas-Mann-Gymnasiums, Silvia Knott, dankte den Jugendlichen für ihren Einsatz. „Das ist ein klares Zeichen gegen das Vergessen“, sagte sie, „ihr bringt mit dieser Initiative die Stolperschwelle zum sprechen.“ Auch Wermsdorfs Bürgermeister Matthias Müller (CDU) dankte den Schülern für ihre intensive Arbeit. „Als Wermsdorfer sind wir immer sehr stolz auf unser Schloss Hubertusburg als Symbol des sächsischen Barock, doch das entbindet uns nicht von der Verpflichtung, uns mit den schwierigen und schrecklichen Dingen auseinanderzusetzen, die hier geschehen sind“, sagte er.
Mindestens Verwunderung, mehrfach aber auch Kritik äußerten Anwesende an der Wahl des Ortes für die Stolperschwelle: Diese wurde an der Rückseite des Hauses 88, neben dem Eingang zur Rezeption des Krankenhauses, verlegt – und zwar sehr am Rand. „Das ist hier die Ausfahrt zum kleinen Parkplatz, der Ort ist nicht ganz angemessen“, meinte denn auch Bürgermeister Matthias Müller und appellierte an die Denkmalschutzbehörde des Landratsamtes, eine bessere Platzierung zu ermöglichen. Es gelte, trotz historischer Anlage und einheitlichen Erscheinungsbildes des Fachkrankenhauses, einen Kompromiss zu finden.
Auch Henry Lewkowitz bedauerte, ein Sichtbarmachen des Gedenkens könne man so nicht voll umfänglich ermöglichen. Dazu gebe es bisher keinen Ort, an dem eine begleitende Informations-Tafel aufgestellt werden kann. „Ich hoffe, dass noch ein anderer Platz für die Stolperschwelle und die Tafel gefunden wird“, sagte er.
LVZ
von Jana Brechlin (07.05.2024, OAZ Online)