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VON LEONARD ZWICKER UND CHRISTIAN KUNZE

Oschatz. Habt ihr mit Gewalt zu tun? Diese Frage wurde Acht- und Zehntklässlern des Thomas-Mann-Gymnasium in der Aula gestellt. Die Antwort: „Nein“. Doch im Laufe des Vormittags hat sich dieses Bewusstsein bei den Schülern geändert, zum Schluss sagten viele „Ja“. 

Eine Diskussionsrunde, organisiert von der Unfallkasse Sachsen und geleitet von Rüdiger Fabry, eine „Tour gegen Gewalt“. Das Ziel: den Jugendlichen Gewalterfahrungen näher bringen – durch Erlebnisberichte von Opfern und Tätern. Da war der Lehrer Baumann, der unter psychischem Druck einen Schüler verprügelte und der Nazi Torsten, der mit Kumpels einen Asia-Imbiss „platt gemacht“ hat. Die Schülerin Nicole, die eine Klassenkameradin gemobbt und damit in den Selbstmord getrieben hat, und Kathrin, die versuchte, eine Vergewaltigung zu verhindern und selbst Opfer von Gewalt wurde. Außerdem kam Richard zu Wort. Ein farbiger Musiker, dessen Bruder aufgrund seiner Hautfarbe von Nazis verprügelt wurde. 

Richard, Musiker ausländischer Herkunft, kritisiert Fremdenhass, greift dabei ebenfalls zu verbaler Gewalt, indem er den Neonazi Torsten beleidigt.
Foto: Dirk Hunger

Jede dieser Personen hat ihre eigene Ansicht zu Gewalt und wie man mit ihr umgehen soll. Das Spektrum reicht dabei von „Gewalt als Antwort auf Gewalt“ über „Gewalt ist nötig“ bis zu „Gewalt muss verhindert werden“. Aufgrund der Meinungsverschiedenheiten kommt es zu einem Streit. Erst als Richard die Aula verlässt, entschärft sich die Situation. „Es war total authentisch und ich war mir zeitweise nicht sicher, ob dieser Streit geplant oder Wirklichkeit war“, meint die Achtklässlerin Emily Haupt nach der Aufführung, „es waren die Geschichten der Personen und deren extreme Ansichten, die es spannend gemacht haben“.

Der Clou: Die Beteiligten sind Schauspieler, die Eskalation ist inszeniert. Die Akteure schaffen es, die Schüler nachdenklich zu stimmen, dass sie sich nicht sicher sind, ob das Gezeigte real ist. Alle Schicksale orientieren sich allerdings an tatsächlichen Ereignissen und daraus resultierenden Gerichtsurteilen in Deutschland.

Schließlich sind die Schüler am Zug: Sie suchen sich einen Akteur aus, stellen ihm Fragen, sind aufgefordert, seinen Charakter einzuschätzen und eigene Empfindungen für die Person wieder zu geben. Die Schüler haben Mitleid mit dem Lehrer, kritisieren den Fremdenhass des Nazis, verurteilen, dass sich die zu Hilfe eilende Frau nach ihrer Erfahrung mit Gewalt nicht einmischt, nehmen die mobbende Schülerin nicht ernst. 

Im Stück fliegen verbal die Fetzen, je nach Schulart unterschiedlich stark. Die meisten Gymnasiasten fallen nicht auf Vorurteile herein, aber Angst vor Gewalt haben sie, wie Jugendliche an anderen Schulen auch. 

Im abschließenden Gespräch der Schüler mit den Schauspielern wird deutlich, dass die Darsteller im realen Leben mit Gewalt und Konflikten konfrontiert wurden und nun entweder eigene Erfahrungen oder die der Gegenseite mit einbringen. So hat „Lehrer Baumann“ von Erzählungen seiner Schwester profitiert, die Pädagogin ist und diejenige, die im Stück andere mobbt, war in ihrer Schulzeit selbst verbalen und körperlichen Attacken ausgesetzt. „Die Perspektive zu wechseln, den anderen kennen lernen wollen, das ist bei jeder Meinungsverschiedenheit wichtig, sonst endet es in Gewalt“, lautet ihr Fazit. 

Die Unfallkasse Sachsen hat das Projekt von den Kollegen in Nordrhein-Westfalen übernommen. Sprecher Karsten Janz erklärt, dass damit vor allem Gewalt vorgebeugt werden soll. „Wenn es zu Ausschreitungen im Schulalltag kommt, müssen wir uns damit auseinander setzen, egal ob es nur Schüler oder auch Lehrer betrifft“, sagt er. In Klassenräumen und Lehrerzimmern werde oft erst dann über die Vermeidung von Konflikten gesprochen, wenn die Eskalation bereits erfolgte, nach Amokläufen beispielsweise. 

Infos zum Stück unter www.theatertill.de